Ich liege
in meinem Zelt. Auf einer Luftmatratze. In meinen Ohren die Stöpsel meines
ipod... laut! Ich höre Falconer. Und nichts anders um mich herum. Ich habe
endlich Ruhe.
Ruhe?
Inmitten von 70.000 Metalheads?? Inmitten von Bier und Schnaps? Inmitten von
bärtigen, schwarz gekleideten, tätowierten Männern und ebenso schwarz
angezogenen, gepiercten Frauen (allerdings ohne Bart...), inmitten von
geschätzen 30.000 weiteren Zelten, inmitten von Matsch aus Erde, Bier,
Regenwasser und Männerpisse, inmitten
von 90 Heavymetalbands, Mambo-Kurt und den Wacken-Fire-Fighters. Louder than
hell, hotter than hell... inmitten der Stände des Metal-Market, 1000 Dixies und
der Food-Area, inmitten von 4 verschiedenen Bühnen, - als irgendjemand den hier
niemand kennt und der auch nicht gekannt werden will.
Ich
geniesse die Anonymität, geniesse die Atmosphäre, in der ich sein kann, wie ich
mich oftmals innerlich fühle. Ich mag harte Musik, harten geilen Sex und
Lederklamotten. Ich mag es, mal ein paar Tage im Jahr die Sau rauszulassen und
Party zu machen. Ohne zu überlegen, ob ich in der Nacht in irgendeinen
Kreisssaal muß.
Ich bin
ganz fürchterlich egoistisch in diesen Tagen Ende Juli im Norden Deutschlands
auf meinen gemieteten 5 qm einer Kuhweide. Gesunde Ernährung ist mir ein
Fremdwort und ich esse, was das Supermarktzelt nur hergibt. Knatschiges
Toastbrot mit fetter Salami oder nahezu flüssigem Nutella. Dosenravioli. Trinke
Cola, WACKEN-Bier und Schlimmeres, schlafe von morgens drei bis mittags drei
und es ist mir egal, ob mir das abends jemand ansieht.
Auf dem
Metal-Markt kaufe ich Dinge, da würde ich zu Hause nicht mal bis zur Mülltonne
mit gehen, so zum Beispiel einen wasserstoffblonde-wildgelockte
Langhaar-Perücke, dunkelrote Kampfstiefel und dergleichen.
Das ist mein
Karneval - wo ich doch mit dem Kölsche Gedöns im Februar nu gar nix anfangen
kann.
Das W:O:A
Wacken-Open-Air ist meine 5. Jahreszeit und statt tieffliegender Kamelle
versucht man hier EMP-Fahnen, Promotion-CDs und WACKEN-Kondome aufzufangen.
Statt der "ruude
Bappnas" im Gesicht und Alaaf zeigt man sich hier auf den weiten Wegen zu
und von der Festival-Area das "Evil-Eye-Handzeichen" mit von der
Faust gestrecktem kleinen- und Zeigefinger und aus vielen der schon leicht
alkoholtechnisch angezählten Männerkehlen kommt ein tief geröhrtes langezogenes
"WACKÖÖÖÖÖÖÖN"
Es ist
dunkel, es regnet, ich liege ebenfalls leicht angezählt in meinem Zelt mit nur
dreiviertels luftgefüllter Matratze, als Reinhold mich weckt und mir
eindringlich klar macht, dass wir um 0.30 h zu Avantasia wollten. "Oh
neeee, ich kann nicht!" "LOS! Du ärgerst Dich krümelig morgen! Hopp!
Schue anziehen!" Er zerrt mich aus meinem Schlafsack. Komplett verpennt
zieh ich irgendwas an und laß mir von ihm meine Matsch-Stiefel zuschnüren.
"Auf gehts!!"
So schön
das ruhige Eckchen Area U mit den wenig frequentierten Dixi-Klos ist, so weit
weg ist aber auch die Bühne. 1,2 km ... und das mehrfach täglich. Nuja, da kann
man paar Salamibrote mehr essen ;)
Tapfer
stapfe ich neben Reinhold im nordischen Nieselregen durch die Nacht. Meinen
müllsackartigen WACKEN - Regenponcho aus der Full-Metal-Bag trage ich
selbstverständlich. Wir kommen der Musik näher. Keine Ahnung, was das gerade
noch für ein übles Geprügel ist was man von der Black-Metal-Stage hört, aber so
langsam werde ich wach. Atme tief die klare feuchte Luft ein, sehe die
Scheinwerfer und die Fackeln in Form des Büffel-Schädels neben der Bühne
brennen und freu mich wie ein kleines Kind. Um mich vor der Bühne in die erste
Reihe zu drängeln bin ich echt zu müde und so suchen wir uns ein Plätzchen, wo
man sich notfalls auch mal setzen könnte. Das Konzert ist so geil und Tobias
Sammet gibt alles. Nach etwa einer halben Stunde mein Lieblingslied Reach out
for the light, ich empfinde den Himmel auf Erden und weiß mal wieder, dass
Glück kein Dauerzustand ist. Glück sind Momente. Genießen. Im Herzen behalten.
Viele davon sammeln. AVANTASIA spielt AVANTASIA und es schmerzt fast, so geil
finde ich es. Ekstatisch und wild, ich
bin der Welt entrückt. Reinhold schaut mich amüsiert an... "na, wirds
gehen?" ich hoffe doch. Auf dem Rückweg ist es dann wirklich um mein
Benehmen geschehen. Ich spring von einer Pfütze in die nächste und sehe aus wie
eine Wildsau. Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen und gegen viertel vor
drei sind wir wieder am Zelt. Setzen uns auf die Wiese, trinken noch zwei
WACKEN-Bier und sitzen und reden bis die aufgehende Sonne am Horizont den Himmel rötlich färbt.
Ich danke
dem Leben für diese Nacht.
Reinhold
ist 6 Wochen später tödlich mit dem Motorrad verunglückt -
Erinnerungen
sterben nie!
In memory an R.J. gestorben am 14.09.2008
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