Dienstag, 6. September 2011

Aus gegebenem Anlass ... es ist mal wieder September...


Ich liege in meinem Zelt. Auf einer Luftmatratze. In meinen Ohren die Stöpsel meines ipod... laut! Ich höre Falconer. Und nichts anders um mich herum. Ich habe endlich Ruhe.
Ruhe? Inmitten von 70.000 Metalheads?? Inmitten von Bier und Schnaps? Inmitten von bärtigen, schwarz gekleideten, tätowierten Männern und ebenso schwarz angezogenen, gepiercten Frauen (allerdings ohne Bart...), inmitten von geschätzen 30.000 weiteren Zelten, inmitten von Matsch aus Erde, Bier, Regenwasser und  Männerpisse, inmitten von 90 Heavymetalbands, Mambo-Kurt und den Wacken-Fire-Fighters. Louder than hell, hotter than hell... inmitten der Stände des Metal-Market, 1000 Dixies und der Food-Area, inmitten von 4 verschiedenen Bühnen, - als irgendjemand den hier niemand kennt und der auch nicht gekannt werden will.

Ich geniesse die Anonymität, geniesse die Atmosphäre, in der ich sein kann, wie ich mich oftmals innerlich fühle. Ich mag harte Musik, harten geilen Sex und Lederklamotten. Ich mag es, mal ein paar Tage im Jahr die Sau rauszulassen und Party zu machen. Ohne zu überlegen, ob ich in der Nacht in irgendeinen Kreisssaal muß.

Ich bin ganz fürchterlich egoistisch in diesen Tagen Ende Juli im Norden Deutschlands auf meinen gemieteten 5 qm einer Kuhweide. Gesunde Ernährung ist mir ein Fremdwort und ich esse, was das Supermarktzelt nur hergibt. Knatschiges Toastbrot mit fetter Salami oder nahezu flüssigem Nutella. Dosenravioli. Trinke Cola, WACKEN-Bier und Schlimmeres, schlafe von morgens drei bis mittags drei und es ist mir egal, ob mir das abends jemand ansieht.

Auf dem Metal-Markt kaufe ich Dinge, da würde ich zu Hause nicht mal bis zur Mülltonne mit gehen, so zum Beispiel einen wasserstoffblonde-wildgelockte Langhaar-Perücke, dunkelrote Kampfstiefel und dergleichen.

Das ist mein Karneval - wo ich doch mit dem Kölsche Gedöns im Februar nu gar nix anfangen kann.
Das W:O:A Wacken-Open-Air ist meine 5. Jahreszeit und statt tieffliegender Kamelle versucht man hier EMP-Fahnen, Promotion-CDs und WACKEN-Kondome aufzufangen.
Statt der "ruude Bappnas" im Gesicht und Alaaf zeigt man sich hier auf den weiten Wegen zu und von der Festival-Area das "Evil-Eye-Handzeichen" mit von der Faust gestrecktem kleinen- und Zeigefinger und aus vielen der schon leicht alkoholtechnisch angezählten Männerkehlen kommt ein tief geröhrtes langezogenes "WACKÖÖÖÖÖÖÖN"

Es ist dunkel, es regnet, ich liege ebenfalls leicht angezählt in meinem Zelt mit nur dreiviertels luftgefüllter Matratze, als Reinhold mich weckt und mir eindringlich klar macht, dass wir um 0.30 h zu Avantasia wollten. "Oh neeee, ich kann nicht!" "LOS! Du ärgerst Dich krümelig morgen! Hopp! Schue anziehen!" Er zerrt mich aus meinem Schlafsack. Komplett verpennt zieh ich irgendwas an und laß mir von ihm meine Matsch-Stiefel zuschnüren. "Auf gehts!!"
So schön das ruhige Eckchen Area U mit den wenig frequentierten Dixi-Klos ist, so weit weg ist aber auch die Bühne. 1,2 km ... und das mehrfach täglich. Nuja, da kann man paar Salamibrote mehr essen ;)

Tapfer stapfe ich neben Reinhold im nordischen Nieselregen durch die Nacht. Meinen müllsackartigen WACKEN - Regenponcho aus der Full-Metal-Bag trage ich selbstverständlich. Wir kommen der Musik näher. Keine Ahnung, was das gerade noch für ein übles Geprügel ist was man von der Black-Metal-Stage hört, aber so langsam werde ich wach. Atme tief die klare feuchte Luft ein, sehe die Scheinwerfer und die Fackeln in Form des Büffel-Schädels neben der Bühne brennen und freu mich wie ein kleines Kind. Um mich vor der Bühne in die erste Reihe zu drängeln bin ich echt zu müde und so suchen wir uns ein Plätzchen, wo man sich notfalls auch mal setzen könnte. Das Konzert ist so geil und Tobias Sammet gibt alles. Nach etwa einer halben Stunde mein Lieblingslied Reach out for the light, ich empfinde den Himmel auf Erden und weiß mal wieder, dass Glück kein Dauerzustand ist. Glück sind Momente. Genießen. Im Herzen behalten. Viele davon sammeln. AVANTASIA spielt AVANTASIA und es schmerzt fast, so geil finde ich es. Ekstatisch und wild,  ich bin der Welt entrückt. Reinhold schaut mich amüsiert an... "na, wirds gehen?" ich hoffe doch. Auf dem Rückweg ist es dann wirklich um mein Benehmen geschehen. Ich spring von einer Pfütze in die nächste und sehe aus wie eine Wildsau. Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen und gegen viertel vor drei sind wir wieder am Zelt. Setzen uns auf die Wiese, trinken noch zwei WACKEN-Bier und sitzen und reden bis die aufgehende Sonne am Horizont  den Himmel rötlich färbt.

Ich danke dem Leben für diese Nacht.

Reinhold ist 6 Wochen später tödlich mit dem Motorrad verunglückt -

Erinnerungen sterben nie!

In memory an R.J. gestorben am 14.09.2008 


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